Raus aus den Hörsälen, rein in das Netz

Die traditionelle Universitätsvorlesung ist heute so gut wie überflüssig. Zugegeben, es gibt unter den Dozenten an deutschen Hochschulen einige begnadete Redner, bei denen es sich lohnt, einfach nur zuzuhören. Aber auf Studierende ein-, anstatt mit ihnen zu reden, ist selten die ideale Möglichkeit, ihnen etwas beizubringen – das geht heute Dank moderner Technik weitaus effektiver.

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“Die deutsche Bildungspolitik muss mehr Investitionskraft für die digitalen Lehr- und Lernbereiche schaffen. Dazu gehört die Einführung standardisierter Datenschnittstellen für die Forschung genauso wie die öffentliche Förderung von IT-Unternehmen aus dem E-Learning-Sektor, zum Beispiel durch Start-Up-Visa oder gesetzlich festgeschriebene Auftragsquoten für Cloud-Angebote.”
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Warum unterrichten Hunderte, ja Tausende von Lehrenden wieder und wieder die gleichen Dinge? Wenn man hier – wie es bei Lehrbüchern im Übrigen schon immer der Fall war – auf einige wenige, gut ausgearbeitete Video-Vorlesungen hoher Qualität setzen würde, bliebe mehr Zeit für die persönliche Betreuung und die Beantwortung von Verständnisfragen – online oder offline. Wer Universität als Massenuni aus den hinteren Reihen eines überfüllten Hörsaals erlebt, für den ist sie schon heute eine Fernuni – und zwar eine schlechte. Ohne eine Veränderung universitärer Lehre hin zu mehr selbstständigem Lernen bzw. Peer-to-peer-Lehre und -Benotung, wird es angesichts des miserablen Betreuungsverhältnisses nicht funktionieren. Und ohne neue Formen der Vernetzung und Zusammenarbeit wird es diese nicht geben

Wie kann es da sein, dass deutsche Universitäten hinsichtlich ihrer digitalen Infrastruktur im vergangenen Jahrhundert steckengeblieben sind? Die Dynamik sozialer Netzwerke wie Facebook, Wikipedia oder Soundcloud wird an deutschen Universitäten bisher praktisch nicht genutzt. Zukunftsthemen wie ‘learning analytics’ spielen in der Diskussion hierzulande bisher keine Rolle.

Bildungsrepublik analog

Ich habe mit Dutzenden von Studierenden über dieses Thema gesprochen. Wenn man sich nach den Learning Management Systemen erkundigt, die sie an den Universitäten verwenden, wird stets nur müde abgewunken. Diese seien “ein Witz” und “komplett tot”. Von den Hochschulverwaltungen hingegen hört man, dass hier “kein Verbesserungsbedarf” bestünde. Dieser Standpunkt erinnert an ein Zitat von W.E. Deming: “It’s not necessary to change, survival is not mandatory.”

Das Fiasko um den Start von Hochschulstart.de hat viel Medienaufmerksamkeit erhalten. Dass deutsche Hochschulen jedes Jahr mehrere Millionen Euro für Lizenzen kommerzieller Software-Lösungen und die Administration bzw. das Hosting von Open Source Alternativen ausgeben, ist ebenfalls unverständlich. Der mangelnde Qualitätsanspruch kann nur dadurch erklärt werden, dass die Dozenten kaum wissen, was möglich wäre und die Studierenden sich wie in so vielen Fragen gegen institutionelle Trägheit kaum wehren können. Einmal mehr wird hier gerade unter den Hochqualifizierten eine Abstimmung mit den Füßen stattfinden. Können wir uns das angesichts des demographischen Wandels leisten?

Um im Bildungsbereich am Übergang zum digitalen Zeitalter nicht den Anschluss verlieren, müssen die Universitäten und die Politik neue Wege gehen. Daten sind die Rohstoffe der Wissensgesellschaft, Rohstoffe, die wir selbst erschaffen können. Standardisierte Datenschnittstellen zum Beispiel, wie jüngst von einer Reihe junger Unternehmen in den USA gefordert, könnten ein ganzes Ökosystem von Start-Ups entstehen lassen, die so neue Anwendungen für Forschung und Lehre entwickeln könnten.

Auch sollten Pilotprojekte gefördert werden – nicht nur indem man die Mittel bestehender öffentlicher Institutionen aufstockt, sondern auch indem man gemäß der Idee von Social Entrepreneurship gemeinnützige oder profitorientierte Unternehmungen durch gemeinwohloriertiertes Venture Kapital fördert – hier sind auch die großen Stiftungen gefragt. Die gezielte Förderung von Projekten wie Teach First Deutschland und Rock Your Life offline, oder iversity und Sofatutor online lassen uns eher zu einer Bildungsrepublik werden, als weiter Geld mit der Gießkanne im Hochschulsektor zu verteilen.

Auch eine möglich Auflage, einen gewissen Anteil der durch öffentliche Mittel finanzierten Aufträge an Start-Ups oder – im IT-Bereich noch spezifischer – an Cloudlösungen zu vergeben, könnte helfen, innovative Unternehmen in diesem Bereich zu fördern und so mittelfristig die Kosten zu senken und die Qualität der genutzten Anwendungen zu steigern. Gleiches gilt für ein Start-Up-Visum, so wie in den USA gefordert und in Großbritannien bereits umgesetzt, das helfen könnte, die Innovationsfähigkeit Deutschlands in diesem Bereich zu stärken.

Was heute schon möglich ist

Ein beeindruckendes Beispiel für den effektiven Einsatz von Technologie für universitäre Lehre hat kürzlich Professor Sebastian Thrun mit seiner Vorlesung über Künstliche Intelligenz (KI) geliefert. Der Deutsche, der in Stanford lehrt, öffnete seine Vorlesung per Videoaufzeichnung für Hörer in der ganzen Welt. Als im August 2011 die New York Times darüber berichtete, hatte seine Lehrveranstaltung noch 58.000 Hörer. Anfang Oktober waren es dann bereits über 130.000.

Bei der Digital Life Design Konferenz 2012 in München berichtete Thrun von der einzigartigen Dynamik: „Wir verbrachten nächtelang damit, uns auf Video aufzuzeichnen – und damit, mit Zehntausenden Studierenden zu sprechen. Freiwillige übersetzten unsere Vorlesungen in über 40 Sprachen; am Ende haben 23.000 Menschen aus 190 Ländern den Kurs komplett durchlaufen. Das bedeutet nichts anderes, als dass Peter [Norvig] und ich mehr Studierende in KI unterrichtet haben als alle KI-Professoren der Welt zusammen.”

Start-Up-Visa und Förderquoten von IT-Unternehmen in der Hochschulpolitik – was halten Sie von Hannes Klöppers Vorschlägen? Diskutieren Sie mit! Hier geht es zu seinem Vorschlag in der Projektgruppe Bildung  und Forschung. Dort sind Sie herzlich eingeladen, sich mit Ihren Beiträgen, Anregungen und Ideen an den Arbeit der Enquete-Kommission zu beteiligen.

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Hannes Klöpper ist Geschäftsführer beim Start-Up iversity. Er studierte Internationale Beziehungen in Dresden und Straßburg und Liberal Arts am European College of Liberal Arts in Berlin. Von 2007 bis 2009 studierte er Public Policy an der Hertie School of Governance in Berlin und an der School of International and Public Affairs der Columbia University/NYC. Im Jahrgang 2010/11 arbeitete er als Associate im Projekt ‘Neue digitale Gesellschaft’ der Stiftung neue Verantwortung.

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