Unter Mitarbeit von Dr. Mercedes Bunz
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“In Deutschland wird ein Großteil der Wissenschaft und Wissensproduktion durch die öffentliche Hand finanziert. Während die privatwirtschaftliche Aneignung und Nutzung des produzierten Wissens erwartet wird, sind die wissenschaftlichen Publikationen aber nur selten für den Steuerzahler frei verfügbar. Das muss sich ändern!”
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Das ungewöhnliche Geschäftsmodell des wissenschaftlichen Publizierens
Bildungseinrichtungen und ihre Bibliotheken stehen vor akuten finanziellen Herausforderungen. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen sind sie mit einem Erlösmodell der Wissenschaftsverlage konfrontiert, das die Mission der wissenschaftlichen Einrichtungen konterkariert. Es basiert auf einem sehr ungewöhnlichen Geschäftsmodell mit drei Teilnehmergruppen:
1. Die Wissenschaftler: Sie forschen nicht nur und verfassen wissenschaftliche Arbeiten, sie übernehmen auch nachgelagerte redaktionelle Dienstleistungen rund um das akademische Publizieren.
2. Die Verlage: Sie agieren als Mittelsmann und veröffentlichen und vertreiben die Publikationen.
3. Die wissenschaftlichen Einrichtungen: Sie erwerben diese Publikationen durch ihre Bibliotheken von den Verlagen käuflich (zurück), um sie anderen Wissenschaftlern zur Verfügung zu stellen.
Der Kreislauf für diese äußerst lukrative Wertschöpfungskette beginnt von vorne, wenn durch diese Publikationen wieder neuer wissenschaftlicher Inhalt entsteht, der erneut durch die Verlage vertrieben wird. Darüber hinaus kommt in vielen Ländern dazu, dass Wissenschaftler für Qualifikationsmaßnahme, wie zum Beispiel eine Promotion, verpflichtet sind, ihre Arbeiten öffentlich zu publizieren.
In diesen Fällen ist es nicht selten, dass der Verlag nicht nur für die Veröffentlichung der Arbeit des Wissenschaftlers Geld verlangt, sondern dabei auch alleiniges Nutzungsrecht für das Produkt beansprucht. Mit diesem Prinzip des geschlossenen Zugangs zur Forschungsliteratur (“alleiniges Nutzungsrecht”), geht auch das Prinzip der geschlossenen Bewertung der Wissenschaft und Forschung einher, da der Verlag durch die Veröffentlichungshoheit bestimmt, welche Forschung wichtig ist und welche nicht. Das kann weder im Interesse der Wissenschaft, noch im Interesse der Gesellschaft sein. Es ist nicht einmal im Interesse der gesamten Wirtschaft!
Die Lösung heißt Open Access
Schon seit einiger Zeit versuchen Wissenschaftler diesen Kreislauf zu durchbrechen und entwickelten alternative Modelle für das akademische Publizieren. Im Jahr 2002 fasst die “Budapest Open Access Initiative” erstmals die Bemühungen um den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zusammen. In ihrem Zentrum steht der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen (Open Access). Ziel ist, dass Peer-Review-Fachliteratur …
“… kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein sollte, so dass Interessenten die Volltexte lesen, herunterladen, kopieren, verteilen, drucken, in ihnen suchen, auf sie verweisen und sie auch sonst auf jede denkbare legale Weise benutzen können, ohne finanzielle, gesetzliche oder technische Barrieren jenseits von denen, die mit dem Internet-Zugang selbst verbunden sind. In allen Fragen des Wiederabdrucks und der Verteilung und in allen Fragen des Copyrights überhaupt sollte die einzige Einschränkung darin bestehen, den Autoren Kontrolle über ihre Arbeit zu belassen und deren Recht zu sichern, dass ihre Arbeit angemessen anerkannt und zitiert wird.”
Nach dieser Erklärung soll das Recht des Urhebers gesichert und zugleich der Nutzer bestärkt werden: Jeder Nutzer soll nicht nur den reinen Zugang, sondern auch weitgehende Nutzungsrechte erhalten, ähnlich wie beim Modell der Open-Source-Software. Eine Idee, die auf offene Ohren stieß; deutsche und internationale Forschungsorganisationen haben die Budapest Open Access Initiative inzwischen unterzeichnet. Mit dem Ziel, Wissenschaft zu verbreiten und zu fördern, fordern sie in der Berliner Erklärung vom Jahr 2003 darüber hinaus, dass die Urheber und die Rechteinhaber solcher Veröffentlichungen ihnen erlauben,
„diese Veröffentlichungen – in jedem beliebigen digitalen Medium und für jeden verantwortbaren Zweck – zu kopieren, zu nutzen, zu verbreiten, zu übertragen und öffentlich wiederzugeben sowie Bearbeitungen davon zu erstellen und zu verbreiten, sofern die Urheberschaft korrekt angegeben wird.”
Während selbst in Harvard oder Stanford Open Access als eine mögliche Lösung für den unhaltbaren Umstand betrachtet wird, dass private Wissenschaftsverlage über öffentlich finanzierte Wissenschaftlerkarrieren entscheiden, sehen die Verlage sich in die Enge gedrängt. Ihr lukratives Geschäftsmodell mit Gewinnmargen jenseits der 30 Prozent ist gefährdet, und so schüren sie öffentlich Angst vor großem Jobabbau in der Branche. Doch die Öffnung von wissenschaftlichen Publikationen für eine breite Masse, bietet neue Chancen für Wissenschaft, Gesellschaft und auch für die Wirtschaft.
Offenheit als Motor für Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft
Eindrucksvoll haben Open-Access- und Hybrid-Publishing-Verlage im angelsächsischen Raum bewiesen: Offenheit bedeutet nicht automatisch die Zerstörung von Geschäftsmodellen. Im Gegenteil, mit Offenheit kann man Geld verdienen. Der freie Zugriff auf Forschungspublikationen und -daten unterstützt zudem die Wirtschaft auch indirekt. Er ermöglicht die Qualitätssicherung von Forschungsergebnissen, erleichtert Folgeforschung und erlaubt mehr Innovationen in der Gesellschaft.
Außerdem ist Offenheit auch eine Chance für ein wissenschaftliches Qualitäts- und Reputationssystem, dass einfach nicht in die Hand von privaten Unternehmen gehört, die damit Geld verdienen. Wissenschaft sollte nicht in-transparent sein, wie im aktuell bestehenden System, in dem Wissenschaftserkenntnisse oft erst nach langen Wartezeiten an die Öffentlichkeit gelangen. Ein offenes System ermöglicht wesentlich zeitnaher und flexibler als die klassischen Reputationssysteme, die Aktivität und Qualität eines Forschers zu erfassen.
Der Bund muss endlich handeln
Tatsache ist, dass über zehn Jahre nach ersten gemeinschaftlichen Forderungen nach einem freien Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung noch immer weltweit Milliarden Euro für den Rückkauf wissenschaftlicher Publikationen (beziehungsweise das Abonnieren) an privatwirtschaftliche Verlage gezahlt wird – aus öffentlichen Geldern. Erst mit der Zeit entwickeln Bibliothekare und Wissenschaftler ein Verständnis für die Absurdität des Closed Access Systems. Ein untätiger Gesetzgeber hat lange durch eine unklare Rechtslage die Verbreitung des Open Access Prinzips behindert.
Der Umstand, dass durch Steuergelder finanzierte Forschung und damit die Arbeitszeit von Mitarbeitern öffentlicher Einrichtungen ein Geschäftsmodell befeuert, ist aber kein haltenswerter Zustand. Eine Gesellschaft, in der Bildung und Wissen für das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft verantwortlich sein sollen, darf den freien Zugang zu bereits finanzierter Forschung nicht verstellen. Angelehnt an die Empfehlungen der Budapest Open Access Initiative aus dem Jahr 2012 und den Handlungsempfehlungen der Projektgruppe Bildung und Forschung der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, muss der Bund deshalb endlich für folgende Parameter sorgen:
1. Rahmenbedingungen verbessern: Es muss für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissenschaftlicher Einrichtungen möglich sein, alle zukünftigen wissenschaftlichen Publikationen im Rahmen von Open Access zu veröffentlichen.
2. Verpflichtungen aussprechen: Jede höhere Bildungseinrichtung soll sich verpflichten, wissenschaftliche Publikationen, die im Rahmen von steuerfinanzierter Forschung oder in steuerfinanzierten Einrichtungen entstehen, unmittelbar nach Erstellung offen und kostenlos über das Internet zur Verfügung zu stellen.
3. Technologie und Geschäft rund um Open Access fördern: Es muss in die Entwicklung von Technologie, Geschäftsmodellen und Konzepte investiert werden, welche die Veröffentlichung, Bereitstellung, Sicherung und Verbreitung der freien wissenschaftlichen Publikationen nachhaltig sichert.
4. Wissenschaftliche Reputationssysteme neu aufstellen: Die Entwicklung neuer, transparenter und öffentlicher Qualitätssicherungs- und Reputationsysteme für Wissenschaft und Forschung muss gefördert werden.
5. Kommunikative Begleitung: Das Thema Offenheit, Verantwortlichkeit und Transparenz im wissenschaftlichen Betrieb muss politisch und kommunikativ stärker gefordert und gefördert werden, auch über die Grenzen von Open Access hinaus (Förderung von Open Science – z.B. Sonderförderung wenn Forscher ihr gesamtes Forschungsprojekt inklusive aller Daten öffnen).
Wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der Bildung und Wissen den Schlüssel für Zukunftsfähigkeit unseres Landes darstellen, muss der Bund diesen Empfehlungen Folge leisten.
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Christian Heise, 29, ist Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hybrid Publishing Lab der Leuphana Universität und promoviert zum Thema Open Science. Zuvor war er als Manager bei der Deutschen Presse Agentur und bei ZEIT ONLINE tätig. Er ist Vorstandsmitglied bei der Open Knowledge Foundation Deutschland sowie im Förderverein für freie Netzwerke.
Dr. Mercedes Bunz leitet für die Leuphana Universität ein Forschungsteam zum digitalen Publizieren. Zuvor war sie Medienredakteurin beim Londoner The Guardian und Chefredakteurin von Tagesspiegel Online. Im Suhrkamp Verlag gerade erschienen: “Die Stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen”.
Dieser Beitrag ist im Rahmen der internationalen Open Access Week vom 22. -28. Oktober 2012 entstanden.