Zu lange sahen Politiker und Journalisten im Internet nur einen weiteren Verbreitungsweg, einen Spielplatz der Banalitäten oder eine Gefahr. Diese Kombination aus Ignoranz und Strukturkonservatismus fand ihren medienpolitischen Ausdruck in Projekten wie der “Nationalen Initiative Printmedien – Zeitungen und Zeitschriften in der Demokratie” des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, einer Initiative, die Journalismus wie selbstverständlich mit der Distributionsform ‘Print’ gleichsetzte.
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“Was wir brauchen ist jedoch ein neues medienpolitisches Paradigma, das nicht nur den technologischen und (kultur)ökonomischen Realitäten gerecht wird, sondern auch den neuen zivilgesellschaftlichen Partizipationsbedürfnissen Rechnung trägt, indem es die gesellschaftliche Teilhabe an Media Governance ausbaut und zivilgesellschaftliche Formen journalistischer Produktion fördert.”
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“Stuttgart 21″ und die Debatte um den Einsatz direktdemokratischer Verfahren verweisen auf veränderte Erwartungen und Beteiligungsansprüche einer Gesellschaft, die vermehrt Transparenz und Rechenschaft einfordert und mitgestalten will, sich aber zusehends außerhalb traditioneller Strukturen organisiert. Auch die Medienpolitik wird sich diesen verändernden Partizipationsansprüchen gegenüber öffnen müssen.
Grundvoraussetzung dafür ist Transparenz. Verglichen mit der britischen Medienbehörde Ofcom oder der US-amerikanischen Federal Communications Commission, die öffentlich tagt und deren Sitzungen auch im Netz übertragen werden, sind die hiesigen Medienaufsichtsorgane – von Ausnahmen abgesehen – nach wie vor geradezu anachronistisch, wenn es darum geht, öffentliche Sitzungen abzuhalten oder Dokumente einsehbar zu machen. Nicht nachvollziehbar ist auch, dass die föderale Medienpolitik die Idee eines “Produzentenberichts” der öffentlich-rechtlichen Sender, der für stärkere Transparenz der Auftragsvergaben sorgen könnte, bislang nicht aufgegriffen hat. Das klassische Regime der Rundfunk- und Verwaltungsräte war jedenfalls mit den jüngsten Fehlentwicklungen bei MDR, Kinderkanal oder der Degeto offenbar überfordert.
Stiftung Journalismus
Eines der faktisch wie symbolisch wichtigsten Potentiale für eine revitalisierte Medienpolitik liegt in der Förderung des gemeinnützigen Journalismus. Viel war in den vergangenen Jahren die Rede von dem wiederholt mit einem Pulitzer-Preis gewürdigten Redaktionsbüro “Pro Publica“. Und tatsächlich haben sich solche Lösungen in der US-amerikanischen Medienlandschaft (unter anderen Rahmenbedingungen und als Folge eines deutlicheren Marktversagens) bereits in großer Vielfalt etabliert. Sie reichen von lokalen Nachrichtenplattformen wie der “Voice of San Diego“, der “Minn Post” oder der “Texas Tribune” über Rechercheplattformen wie Pro Publica bis hin zu von Stiftungen wie der Knight Foundation geförderten Innovationslaboren an Hochschulen, in denen neue Geschäftsmodelle und Vermittlungsformen entwickelt werden.
Vollkommen neu sind solche Konstruktionen bei uns nicht. Und natürlich fördern schon heute viele Landesmedienanstalten mit ihren aus den Rundfunkgebühren bestrittenen Etats Bürgerrundfunk (etwa in der Form der Offenen Kanäle) oder Medieninnovationszentren. In der Praxis wird der dritte Mediensektor jedoch durch Überregulierung und regional variierende Vorgaben kleingehalten. Eine schlagkräftige Selbstorganisation der Medienmacher, darauf hat beispielsweise Hans J. Kleinsteuber verschiedentlich hingewiesen, ist unter diesen Bedingungen kaum möglich. Doch könnten nicht-kommerzielle, gemeinnützige Journalismusprojekte – geschützt vor Renditeerwartungen und den Unwägbarkeiten des Wettbewerbs – im digitalen Zeitalter eine weitaus wichtigere Rolle spielen. Zu überlegen ist daher, die öffentliche Förderung von Vielfalt und Innovation offensiv und öffentlichkeitswirksam auszubauen – etwa durch die Gründung einer “Stiftung Journalismus” zur Förderung journalistischer Projekte.
Mit den Mitteln der Stiftung könnten unterfinanzierte Segmente wie der Recherchejournalismus (insbesondere auf lokaler und regionaler Ebene), aber auch medienkritische Initiativen gefördert werden. Schon mit einem kleinen Prozentsatz des öffentlich-rechtlichen Gebührenaufkommens – 0,5 Prozent ergäben ein jährliches Budget von zirka 35 Millionen Euro und könnten sich aus der Umwidmung von Gebührenmitteln für die Landesmedienanstalten erschließen lassen – wäre viel zu erreichen.
Vorbild Filmförderung
Modalitäten für Gremien, Antragsverfahren etc. gilt es dafür zu entwickeln, als Vorbild aber bietet sich das bewährte Modell der Filmförderung an. Und die Möglichkeit, sich für die Förderung journalistischer Projekte zu bewerben, sollte Vertretern aller publizistischen Medien (Radio, Fernsehen, Presse, Online) offenstehen. Eine solche Stiftung, deren mögliche Struktur und deren Auftrag hier nur grob umrissen werden können, zielt nicht auf ein Parallelsystem zu etablierten publizistischen Institutionen und Verfahrensweisen, sondern auf die medienpolitische Intervention bei erkennbaren publizistischen Dysfunktionen im öffentlich-rechtlichen wie privaten Medienbereich.
Gleichzeitig steht zu erwarten, dass sich ein solches Projekt zum Vorreiter und Partner für anderer Stiftungen entwickeln würde, die – anders als in den USA – das Problem des erodierenden Qualitätsjournalismus bislang kaum wahr nehmen und sich stattdessen auf die Förderung von Journalisten als Form der PR für die eigenen Anliegen konzentrieren. Für all diese Szenarien gilt: Natürlich wird die publizistische Versorgung auch in Zukunft maßgeblich von öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlich organisierten Medien getragen werden. Doch können solche Projekte ein vitalisierendes, komplementäres Element in einem sich zusehends ausdifferenzierenden medialen Ökosystem werden, indem sie blinde Flecken der privaten und öffentlich-rechtlichen Anbieter ausleuchten und als Innovationslabor für neue journalistische Formate fungieren. Indem sie Bürger in die journalistische Produktion einbinden, bilden insbesondere aus der Zivilgesellschaft entstandene lokale Projekte zudem eine Art Scharnier zwischen Zivilgesellschaft und professionellem Journalismus und fördern so „angewandte Medienkompetenz“ – eine Kulturtechnik, die in modernen Mediengesellschaften Voraussetzung für politisch-gesellschaftliche Teilhabe ist.
Die operative Medienpolitik wiederum wird sich daran messen lassen müssen, wie sehr sie aus dem Kleinklein der Rundfunkänderungsstaatsverträge und aus demokratietheoretischen Beschwörungsformeln herausfindet und sich über konkrete Strategien und Projekte in ein wirkungsvolles Verhältnis zu ihren Bezugsgruppen setzen kann.
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Stiftung Journalismus und mehr Transparenz bei den Medienaufsichtsbehörden – was halten Sie von Leonard Novys Vorschlägen? Diskutieren Sie mit! Hier geht es zur Projektgruppe Kultur, Medien und Öffentlichkeit. Dort sind Sie herzlich eingeladen, sich mit Ihren Beiträgen, Anregungen und Ideen an den Arbeit der Enquete-Kommission zu beteiligen.
Leonard Novy, 34, ist Director for Development and Research am Institut für die Wissenschaft vom Menschen (IWM) in Wien. Er ist außerdem Mitglied der Institutsleitung des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. Der Text basiert auf seiner Publikation „Stiftung Journalismus – Zur Konkretion neuer medienpolitischer Strategien“, erschienen in Funkkorrespondenz 41-42/2011.